Betagte sind Menschen, nicht Kostenfaktoren

In den vergangenen Jahrzehnten haben sich die Vorstellungen, wie die Betagten idealerweise leben sollen, regelmässig geändert. Der Zeitgeist hat dabei die „richtige“ Wohnform bestimmt. Sehr oft haben dabei ökonomische Überlegungen eine wichtige Rolle gespielt. Die Entscheidungsträger waren dabei „im besten Alter“ mit wenig Gebresten; die Betroffenen wurden aber selten in die Planung der Bauvorhaben einbezogen.

In den sechziger Jahren verlangte der Zeitgeist Altersheime an den Dorfrändern, weil die Behörden annahmen, die Betagten suchten ja Ruhe. Dann waren die Altersheime im Dorfzentrum Trumpf mit Kinderspielplätzen in der Nachbarschaft, weil etwas laufen müsse. Dann kam die Idee der Alterswohngemeinschaften auf. Später folgte die Vorstellung, alle Menschen wollten solange als möglich in ihren eigenen vier Wänden bleiben können. Heute glaubt man, dass in Hausgemeinschaften Senioren und junge Familien zusammen wohnen und sich gegenseitig unterstützen könnten.

 

Was ist jetzt richtig? Nichts ist richtig und nichts ist falsch. Aber lange sind die Behörden, die gerade planten davon ausgegangen, dass die Menschen im Alter alle gleich wären und darum die gleichen Bedürfnisse hätten.

Aber nicht alle Betagte möchten noch den Urenkeln nachrennen müssen, nicht alle Betagte möchten alleine wohnen, nicht alle möchten in einer Wohngemeinschaft wohnen müssen. Und nicht jedes berufstätige Paar kann sich vorstellen, in der Wohngemeinschaft mit der dementen Schwiegermutter zusammenzuleben.

So wie heute die Diskussion um die Alterspolitik geführt wird, gehen aber die individuellen Bedürfnisse oft vergessen. Es wird ja vor allem über die Kosten gesprochen und die drohende Kostenflut in der Pflegefinanzierung. Besonders unwürdig wird die Diskussion, wenn Versicherungen, Gemeinden und Kanton wie auf einem orientalischen Bazar beginnen, Pflege- und Aufenthaltskosten hin und her zu schieben und am Schluss zur ihrer Entlastung die Kostenbeteiligung der Betagten erhöhen.

Wer ein Leben lang gearbeitet hat, Kinder grossgezogen hat, sich in Vereinen und Behörden für die Gemeinschaft engagiert hat, den Aufwand für Schulen, Verkehr und Spitäler mit seinen Steuern mitfinanziert hat, regelmässig seine Prämien in die Altersvorsorge einbezahlt hat, - für diese Frau und diesen Mann muss es doch eine Demütigung sein, wenn die Öffentlichkeit sie und ihn als reifere Person nur noch als Kostenfaktor wahrnimmt und nach Sparmöglichkeiten sucht.

Unsere Altersstrategie muss deshalb dafür sorgen, dass möglichst alle Formen von Wohnbedürfnissen in der angestammten sozialen Umgebung angeboten werden können. Und die Diskussion in der Gesellschaft muss so geführt werden, dass nicht eine bestimmte hochidealisierte Wohnform Betagte unter Druck setzen, eine unerwünschte Wohnform zu wählen, im Glauben, man erwarte das nun ihr. Weder soll eine Frau nach einem arbeitsreichen Leben darauf verzichten müssen, sich auch einmal bedienen zu lassen, noch soll ein Mann seine Selbständigkeit gegen seinen Willen aufgeben müssen, weil er in Mobilität eingeschränkt ist.

Neben der Diskussion der Wohnformen müssen wir aber auch noch Lösungen dafür finden,  dass es Angehörigen möglich sein muss, ihre Eltern mitzubetreuen – sei es im Heim oder zu Hause, falls sie dies möchten. Dazu braucht es sowohl Unterstützung in pflegerischen wie in finanziellen Belangen. Und es geht nicht in erster Linie darum Geld zu sparen, vielmehr die Beziehung unter den Angehörigen und zum Pflegepersonal menschlich und entspannt aufrecht zu erhalten.

Eine Gesellschaft zeichnet sich dann aus, wenn sie den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Den Kinder und Jugendlichen gute Startchancen gibt, den Neuzuziehenden Gelegenheit bieten sich in der Dorfgemeinschaft zu engagieren und den Betagten, den dritten Lebensabschnitt in Würde und Selbstbestimmung anzugehen. In der Alterspolitik ist der Tatbeweis noch nicht zufriedenstellend erbracht.

Thomas Hardegger

Gemeindepräsident, Nationalrat