"Die Wucht der Diagnose" - Aus dem Alltag der Pateientenstelle - Erika Ziltener/Ruedi Spöndlin

Vorwort von Thomas Hardegger

„Die Menschen müssten einfach mehr Eigenverantwortung übernehmen!“ Das höre ich häufig bei gesundheitspolitischen Diskussionen. Und dann wird mir geraten, ich solle nicht wegen jedem Wehwehchen zum Arzt rennen, nicht immer die teuerste Behandlung fordern, Medikamente und Therapien überprüfen sowie Kassenvertretern und Fachpersonal genau auf die Finger schauen!

Wenn es nur um die Gesundheitskosten geht, mag diese Empfehlung sogar ein Körnchen Wahrheit beinhalten, bei genauerem Hinschauen entpuppt sich die Pauschalforderung an die Patienten und Versicherten aber als simple Schutzbehauptung der kostentreibenden Leistungserbringer. Wer Eigen-oder Mitverantwortung von mir verlangt, sollte sich zuerst im Klaren sein, von wem die fachliche Kompetenz denn tatsächlich erwartet werden darf. Um den Nutzen und die Notwendigkeit einer mir empfohlenen Behandlung beurteilen zu können, müsste ich also mindestens ein Medizin-, ein Wirtschafts- und ein Philosophiestudium absolviert haben - und nicht nur ich, sondern alle Patientinnen, Patienten und Versicherten.

 

Ich bin darauf angewiesen, dass mir das medizinische Personal die Beratung zukommen lässt, die mich befähigt, eine Behandlung zu wählen, die für mir hilft und die für mich stimmt: Das heisst, ich kenne die Risiken, die möglichen Nebenwirkungen, die Erfolgsaussichten, die Alternativen und die Kostenfolgen für mich, die öffentliche Hand und die Kassen. Gleichzeitig muss ich auch die vielfältigen und immer prominenter auftretenden Werbeversprechungen der Pharma-, Spital- und Medizinaltechnikbranche beurteilen können und den Angeboten für spezielle und exklusive Behandlungen widerstehen. Erst jetzt bin ich in der Lage Mitverantwortung zu übernehmen, d.h. eine Entscheidung zusammen mit der Ärztin oder dem Arzt zu treffen.

In den letzten Jahren ist das Gesundheitswesen zu einem immer wichtigeren Wirtschaftszweig geworden – konjunkturresistent und ein stetiger Wachstumsmarkt. Dabei scheint die Bedeutung des einzelnen Menschen immer mehr darin zu bestehen, möglichst viele medizinische Leistungen oder Produkte zu beziehen. Alleine die enormen Summen, die für die Werbung ausgegeben werden, sind ein deutliches Indiz dafür. Die Schuld für die Kostensteigerung den kranken und hilfsbedürftigen Menschen zuzuweisen, ist somit zu kurz gegriffen. Alle Beteiligten, inklusive die Politik, sind gefordert, dafür zu sorgen, das durch die Ökonomisierung des Gesundheitswesen das Wesentliche nicht aus den Augen verloren wird: Dem Menschen zu helfen, gesund zu werden, Schmerzen zu lindern, im Unglück zu begleiten.

Das vorliegende Buch hilft mit, die Patientinnen, Patienten und Versicherten dazu zu befähigen, in die Diskussion mit medizinischen Fachpersonen einzusteigen und gemeinsam Entscheidungen zu treffen. Medizinische Fachpersonen werden sensibilisiert, sich in die Situation der hilfsbedürftigen Menschen einzufühlen und gesundheitspolitisch Interessierten werden Zusammenhänge in unserem Gesundheitswesen mit spannenden Fallbeispielen nähergebracht.

Thomas Hardegger

Nationalrat, Rümlang ZH