Dez 2009 - Ist Ihnen weihnachtlich zu Mute? Hand aufs Herz, fühlen Sie sich wohl in den Menschenmassen, die sich zwischen den Regalen der Einkaufscenter hindurch quälen? Immer die gleichen computeranimierten „Jingle Bells“ und „Merry Christmas“ Melodien im Ohr; die entnervten Eltern mit ihren quengelnden Kindern, die sich darüber streiten, wieso sie bis am Heiligabend auf die Geschenke warten sollen; im Kopf aber die Zahlungsaufträge, die unbedingt bis Ende Jahr noch erledigt sein müssen – wie liegen schon wieder die Bankfeiertage?

 

Und als wäre das noch nicht genug, liegen die Weihnachten auch noch im Winter! Wie unpraktisch! Auf dem Weihnachtsmarkt suchen die Mütter die verlorenen Handschuhe ihrer weinenden Kinder und der Tannenbaum verliert seine Nadeln schon im Kofferraum. Und ist man endlich wieder zu Hause, werden Guetzli gebacken, bis die Küche im Mehlstaub versinkt und die klebrigen Kinderhände alles betatschen, was vor kurzem noch sauber glänzte. Wie bewundernswert sind die Mütter, Väter, Grossmütter und Grossväter, die hier Ruhe bewahren und mit Gelassenheit dem Rummel begegnen.

Wie jedes Jahr will ich mich nicht in den Vorweihnachtsstrudel hineinziehen lassen. Und wie jedes Jahr realisiere ich wieder, dass dies fast unmöglich ist. Jahresendapéros und Abschlusssitzungen und Personalessen und Klausfeiern und Neujahrswünsche; alles folgt Schlag auf Schlag und Weihnachtskarten habe ich noch keine einzige geschrieben.

Bis jetzt habe ich nur ein Rezept gefunden, mich zu lösen und für einige Stunden dem Wirbel zu entfliehen. Ich packe mich dick ein und ziehe über Feld und Wald. Die Natur hat sich auf Stille eingestellt, die Nebelschwaden dämpfen die grellen Lichter der nahen Siedlungen und die kühle Frische lüftet mir den Kopf durch. Die laubbefreiten Bäume wirken im Gegenlicht wie Tuschezeichnungen, die schneebedeckten Tannenzweige wie Putenengel und der Nebel schwebt über dem Flusslauf wie ein sanft fauchender Märchendrachen. Ein Gefühl der Ruhe und Zufriedenheit steigt in mir auf. Aus der Sorge, nicht alles rechtzeitig erledigen zu können, wächst langsam die Gewissheit, dass ich die Feiertage auch ohne Stress bewältigen, ja sogar geniessen könnte.

Trotzdem sind für die Beratungs- und Interventionsstellen gerade diese Zeit, die Tage mit der grössten Belastung. Häusliche Gewalt, Depressionen und Kurzschlussreaktionen häufen sich in erschreckend hohem Ausmass. Das Zelebrieren der heilen, genussreichen Zeit in Werbung und Geschäften löst bei Mitmenschen, die aus persönlichen Gründen die Inhalte der Lieder über Frieden und Erlösung kaum mitempfinden können, leicht einmal Einsamkeit und Ratlosigkeit aus. Für diese Menschen ist es gut zu wissen, dass viele Nottelefone, Hilfsstellen und auch die Polizei rund um die Uhr bereit sind, beizustehen. Alle Telefonnummern finden sich im Internet, über die Telefonauskunftsdienste, in den Zeitungen oder im Telefonbuch,

Vergessen wir in den feierlichen Momenten dieser Tage nicht auch die Umgebung in unser Leben einzubeziehen; unsere Nachbarinnen und Verwandten, unsere Bekannten in Einpersonenhaushalten und die Familien mit den quirligen Kindern. Achten wir darauf, dass sich die Friedensbotschaft der Weihnachtsgeschichte nicht im Rummel der Festivitäten verliert. - Und verschliessen wir den Mitmenschen nicht unsere Herberge der Gefühle. Ich wünsche Ihnen besinnliche und erholsame Feiertage.

Thomas Hardegger