Nov 2010 - Die Parteien haben sich wieder positioniert – sie stecken ja mitten im Wahlkampf. Auffallend scheint mir, dass viele Parteien einem vermuteten Trend folgen, dass unsere Gesellschaft wäre grundsätzlich reformfeindlich. Ihre Programme orientieren sich deshalb gerne früheren Zielen. Werden sie damit den Erwartungen der Bevölkerung gerecht? Die Gesellschaft, ihr Umfeld, ihre politischen und medialen Instrumente verändern sich ständig. Wenn eine Veränderung uns nützt, wie etwa der technologische oder medizinische Fortschritt, so kann er uns nicht schnell genug erreichen. Wenn uns aber deren Nebenwirkungen nicht gefallen, wie höhere Kosten, die Weitergabe persönlicher Daten, eine Zweiklassenmedizin oder – bildung, dann wollen wir die sogenannte gute alte Zeit wieder herbeireden. Sehr schnell nehmen wir die positiven Neuerungen als selbstverständlich hin und für die negativen Auswirkungen werden schnell Verantwortlich gesucht. Sie werden auch regelmässig schnell gefunden, denn jemand muss an den Pranger gestellt werden können.

 

In der Sonntagspresse wurde kürzlich angeprangert, dass einer Krebspatientin ein unerprobtes neues Krebsmittel nicht zugestanden wurde. Das war eine dicke Schlagzeile wert. Wie dick wäre die Schlagzeile geworden, wenn sie am unerprobten Medikament verstorben wäre?  Wir müssen akzeptieren, dass die Welt nicht nur schwarz und weiss kennt und dass es nicht nur schnelle Lösungen für die anstehenden Probleme gibt. Das was heute als innovative Neuerung verkauft wird, kann morgen Segen oder Fluch sein.

Wenn die SVP sich eine Schule (und ebenso eine Armee) wie vor 50 Jahren wünscht, die FDP die Arbeitnehmerschutzmassnahmen aufheben will und vom Fernziel EU-Beitritt abrückt, die EVP die Sterbehilfe verbieten will  und die SP Mühe mit dem Sonntagsverkauf hat, so zeigen sie ihre Rückwärtsgewandtheit.

Treffen die Parteien damit wirklich den Nerv der Bevölkerung, sind sie damit „trendy“? Sind die Einwohnerinnen und Einwohner tatsächlich für die Rückkehr in eine frühere, scheinbar so heile Welt?

Manchmal habe ich das Gefühl, sie verwechseln Nostalgie mit Rückschritt.

Auch ich denke gerne an frühere Zeiten zurück und empfinde viele gesellschaftliche Veränderungen nicht gerade als Errungenschaft. Etwa die aggressive Art, wie heute politische Auseinandersetzungen geführt werden. Oder die oberflächliche Berichterstattung durch gewisse Medien, die Hilflosigkeit einiger Eltern ihren Kindern Regeln beizubringen, die Wild West Mentalität auf unseren Strassen und vieles mehr. Hier wünsche ich mir auch die scheinbar so gute alte Zeit zurück. Dem gegenüber konstatiere ich aber „neue Freiheiten“, die ich nicht mehr missen möchte. Wie viele Möglichkeiten haben wir zu reisen und dabei das Verkehrsmittel zu wählen, wie erfreulich ist die Lebenserwartung gestiegen und die Möglichkeiten die Gesundheit zu erhalten, wie schnell und weltweit können wir uns Informationen beschaffen.

Hat die Tatsache, dass immer grössere Anteile der Bevölkerung in der Stadt und den Agglomerationen wohnen, dazu geführt, dass wir uns das Landleben als heile Welt vorstellen?

Ich hoffe sehr, dass in den anstehenden Wahlkämpfen darum debattiert wird, wie wir Fortschritte zu Gunsten einer verbesserten Lebensqualität für alle in einer intakten Umwelt erreichen können.

 

Thomas Hardegger