Februar 2011 - Bundesrätin Doris Leuthard hat letzhin angekündet, dass in Zukunft die Bahnbillette und das Benzin teurer werden sollen; zudem sollen die Autokosten nicht mehr von den Steuern abgezogen werden dürfen. Macht sie damit nicht die Pendlerinnen und Pendler zu den Sündenböcken einer verfehlten Raumplanung?

 

Seit dreissig Jahren lebe ich in Rümlang, der Zuzug hatte zwei Gründe: Der nahe Arbeitsplatz im Dorf und eine günstige Mietliegenschaft in verkehrsberuhigter Wohnlage, besonders für die kleinen Kinder ein grosses Glück. Mit ist das regelmässige Pendeln erspart geblieben. Und bei Ihnen? Gehören Sie zu den wenigen „Alt-Eingesessenen“ in Ihrer Gemeinde oder sind Sie in Ihre Agglomerationsgemeinde gezogen wegen des günstigeren Wohnraums? Wegen der kinderfreundlichen Umgebung oder weil Sie in der Stadt keine freie Wohnung gefunden haben? Es gibt viele Gründe für die Wahl des Wohnortes, oft führt sie jedoch dazu, dass man mit Zug, Tram und Bus oder mit dem Auto zum Arbeitsplatz fahren muss.

In den vergangenen Jahrzehnten sind die Wohnsiedlungen weit ab der Arbeitsplatzgebiete gebaut worden: Strassen und Schienen werden ausgebaut, damit rückt die Stadt näher. Wegen der Gunst der Stadtnähe wird weitergebaut, die Agglomeration wächst bis in die Nachbarkantone, und die Verkehrsinfrastrukturen sind wieder überlastet. Kaum finden sich mehr freie Sitzplätze in der S-Bahn und die Stauzeiten in den Hauptverkehrszeiten auf den Strassen sind beachtlich. Nicht zuletzt sind auch viele zusammenhängende Natur- und Erholungsräume zerschnitten worden und wertvolle landwirtschaftliche Produktionsflächen sind für immer verloren.

Wenn wir dieser Entwicklung weiterhin tatenlos zusehen, wird unsere Wohn- und Lebensqualität zerstört. Die Wohngebiete der engeren Agglomeration werden vom Durchgangsverkehr überschwemmt, in der entfernteren Agglomeration fallen die freien Landschaften der Zersiedlung zum Opfer.

Die zukünftige Siedlungspolitik ist darauf auszurichten, dass weniger und kürzere Pendlerfahrten notwendig werden. Attraktive Wohnlagen nahe der Arbeitsplatzgebieten müssen intensiv genutzt werden können. Damit würden auch die bestehenden Strassenräume und Schienenkorridore die Pendlerströme besser bewältigen können. Die alleinige Verteuerung der Fahrten wird sonst zu einer reinen Bestrafung der Menschen, die zum Pendeln gewungen sind.

Am Anfang der Lösung steht also eine aktive Wohnbaupolitik. In den städtischen Räumen und den Agglomerationen muss qualitativ guter und bezahlbarer Wohnraum entstehen. Dort wo der öffentliche Verkehr bereits gut ausgebaut ist, wo sich viele Arbeitswege per Velo oder zu Fuss bewältigen lassen und wo Industriebrachen auf Umnutzung warten oder in die Jahre gekommene Überbauungen ersetzt werden müssen, - dort sollten Quartiere entstehen, die eine gute Durchmischung und Aufenthaltsqualität zulassen. Schliesslich ist in den ländlichen Gebieten mit restriktiven Zonenordnungen ist die Zersiedlung zu stoppem.

Im engeren Agglomerationsgürtel sind die Wege kurz und fast immer bequem mit öffentlichen Verkehrsmitteln bewältigbar. Eine Heimfahrt in der S-Bahn lässt mich zudem auch etwas gedankliche Distanz zur Arbeit gewinnen. Dass aber nun auch Biel, Fribourg, Basel oder Romanshorn zu Pendlerdistanzen werden, überlastet das Verkehrssystem doch enorm. Das können wir uns nicht leisten – und geht zu Lasten unser aller Wohnqualität.

Thomas Hardegger