Tages Anzeiger

Dienstag, 3. Juli 212

Von Liliane Minor und Stefan Schürer

Im Osten des Zürcher Flughafens wird es nach 18 Uhr vorbei sein mit der Ruhe. Es droht eine Flut von Klagen.

Die Schweiz und Deutschland haben sich gestern auf einen neuen Staatsvertrag zur Regelung der Anflüge auf den Flughafen Zürich geeinigt. Die wichtigsten Eckpunkte stellte Verkehrsministerin Doris Leuthard gestern vor: Deutschland verzichtet darauf, die Zahl der Flugbewegungen einzuschränken, dafür darf neu nur noch von 6.30 bis 18 Uhr über Süddeutschland angeflogen werden. Heute ist der süddeutsche Luftraum von 7 bis 21 Uhr offen.

 

Der Vertrag der 2020 in Kraft treten soll, bringt vor allem den Gemeinden im Osten – von Kloten über Bassersdorf Winterthur und Kyburg – deutlich mehr Lärm. Würde der Vertrag schon heute Dienstag angewendet, müssten gut 100 statt wie bisher rund 30 Anflüge über den Osten geführt werden. Zudem würden rund 80 statt 25 Flugzeuge in Richtung Norden starten und meist über das Embrachertal hinweg abdrehen.

Entsprechend ablehnend reagieren lokale Politiker und Bürgerorganisationen auf das Vertragswerk. "Die Enttäuschung ist enorm", sagt Priska Seiler SP Kantonsrätin aus Kloten und Präsidentin des Dachverbands Fluglärmschutz. "Dem Osten wird kein Feierabend mehr gegönnt." Peter Lienhard (SP), der Präsident der IG Nord und Stadtrat in Bülach kritisiert: "Ausgerechnet zu sensiblen Zeiten macht die Schweiz Deutschland weitere Zugeständnisse."

Seiler und Lienhard hoffen, dass die Zürcher Stimmbürger dem Vertrag indirekt eine Abfuhr erteilen. Denn Teil des Vertrags ist eine Verlängerung der Pisten 10/28 nach Westen und 14/32 nach Norden. Über diesen rund 500 Millionen Franken teuren Ausbau wird an der Urne entschieden. Zwar haben die Stimmberechtigten ein Pisten-Ausbauverbot abgelehnt. Seiler glaubt aber: "Wenn es konkret wird, haben wir gute Chancen auf ein Nein."

Vorsichtig pessimistisch

Ablehnend äussern sich auch die Anwohner im Süden des Flughafen, obwohl ihnen der Vertrag eine leichte Verbesserung bringt. Würde er heute angewendet, hätten sie noch 10 statt 14 Anflüge zu ertragen. Zudem gestattet der Vertrag die Einführung des gekröpften Nordanflugs. Dieser ist heute technisch noch nicht möglich, soll aber bis zum Inkrafttreten des Vertrags im Jahr 2020 zur Verfügung stehen.

Die Anwohner im Süden trauen dem nicht. Zudem befürchten sie, dass die Pisten bis 2020 noch nicht verlängert sind. Thomas Morf Präsident des Verbezeich eins Flugschneise Süd – Nein, bezeichnet den Vertrag als "Katastrophe". Leuthard spreche vom Schutz der deutschen Bevölkerung und von Wachstum für den Flughafen, aber die Menschen in der Schweiz vergesse sie.

Skeptisch zeigen sich auch Zürcher Politiker in Bern. FDP-Nationalrat Filippo Leutenegger bezeichnete sich als vorsichtig "pessimistisch". Die Einschränkungen über deutschem Gebiet seien "verheerend". SP- Nationalrat Thomas Hardegger sagt der Vertrag sei ein "Kniefall" vor Deutschland.

Noch gar nichts sagen wollte der Zürcher Volkswirtschaftsdirektor Ernst Stocker (SVP): Er will sich zuerst mit dem Regierungsrat absprechen. Verklausulierte Kritik kommt hingegen von Leuthards Vorgänger im Amt, Moritz Leuenberger – allerdings ausdrücklich, wie betont, als Präsident der Luftfahrtstiftung. Es gelte die Funktionsfähigkeit des Hubs Zürich zu wahren. Dazu, ob der Vertrag das könne, werde der Flughafen Stellung nehmen.

Der Flughafen Zürich wertete den Vertrag gestern "neutral". "Wir müssen zuerst analysieren was das für uns aus betrieblicher Sicht bedeutet", sagt Sprecherin Sonja Zöchling. Swiss-Sprecherin Susanne Mühlemann ist genauso zurückhaltend: "Es ist nicht an uns, den Vertrag zu werten. Wichtig ist für uns Rechtssicherheit."

So rasch wird die gewünschte Rechtssicherheit aber wohl nicht eintreten. Sowohl Politiker als auch Bürgerorganisationen rund um den Flughafen haben gestern eine Flut von Klagen und Beschwerden gegen den neuen Vertrag angedroht. Hinzu kommen dürften auch neue Lärmklagen. Noch völlig unklar ist, welche zusätzlichen Kosten für den Flughafen daraus entstehen könnten.