Rümlanger

Freitag, 04.05.2012

Andreas Minder

Seit 2006 gibt es in Rümlang die monatliche Sprechstunde des Gemeindepräsidenten. Ein bunt gemischtes Publikum nutzt die Möglichkeit, Thomas Hardegger zu sagen, wo der Schuh drückt.

Es war eine der Änderungen, die Thomas Hardegger gleich nach seiner Wahl einführte: die Sprechstunde des Gemeindepräsidenten. Seither ist sie zu einer nicht mehr wegzudenkenden Institution geworden. Hardegger versteht das Angebot auch als Signal dafür, dass die Gemeinde die Sorgen der Leute ernst nehme und gesprächsbereit sei. «Es ist zudem ein Gradmesser dafür, wie sich die Bevölkerung fühlt.» Durchschnittlich meldeten sich zwei bis drei Personen für die Sprechstunde an. Für das Gespräch kann jeweils auch ein anderer als der eigentlich vorgesehene Termin vereinbart werden.

 

Ombudsfunktion

Die Anliegen sind breit gefächert, lassen sich aber grob in drei Kategorien einteilen. So liefern die Beschlüsse der Gemeindebehörden immer wieder Gesprächsstoff. Die einen finden ihre Steuerrechnung zu hoch, andere die Sozialhilfe zu bescheiden, Dritte stören sich an Auflagen für eine Baubewilligung. «Hier übernehme ich so etwas wie die Funktion einer Ombudsstelle», sagt Hardegger. «Oft reicht es schon, zu erklären, und Missverständnisse aus der Welt zu schaffen.» Das kann zum Beispiel die Frage des Ermessens betreffen. Die Berechnung des Sozialhilfeanspruchs oder der Entscheid über ein Baugesuch sind meist exakt vorgegeben, Vereinsanliegen oder kommunale Verkehrsanordnungen hingegen nicht. Hardegger kann die Betroffenen auf rechtliche oder andere Schritte hinweisen, die ihnen offenstehen. Mehr Macht hat ein Gemeindepräsident im Rechtsstaat nicht: «Ich kann keine Beschlüsse der Behörden umstossen», dämpft Hardegger übertriebene Erwartungen.

Anders sieht es aus, wenn sich herausstellt, dass sich die Verwaltung und die Betroffenen schlicht falsch verstanden haben. In solchen Fällen kann Hardegger veranlassen, dass die zuständige Stelle einen Sachverhalt noch einmal anschaut.

Der Gemeindepräsident hat auch schon erlebt, dass ein persönliches Problem dahintersteckt, wenn sich jemand von der Gemeinde ungerecht behandelt fühlt. «Die Verwaltung wird dann zum Sündenbock.» Persönliche Schwierigkeiten sind die zweite Gruppe an Themen, die in der Sprechstunde auf den Tisch kommen. «Manchmal reicht es, wenn jemand erzählen und seine Sorgen abladen kann», sagt Hardegger. Eine Situation, die dem ehemaligen Oberstufenlehrer von Elterngesprächen her nicht unbekannt ist. Er hält aber fest, dass er weder Seelsorger, Paartherapeut noch Schuldenberater sein könne und wolle. Er sieht seine Funktion darin, weiterzuvermitteln: an einen Anwalt, an die Familienund Jugendberatung, an eine Ombudsstelle.

Sorge um die Entwicklung

Eine dritte Gruppe kommt mit politischen Anliegen ins Gemeindehaus. Ein Dauerbrenner ist der Verkehr. Fluglärm, Tempozonen im Dorf und Fussgängerstreifen bewegen viele, wenn auch nicht alle in die gleiche Richtung. Ein neueres Thema ist das Wachstum von Rümlang. Die Zuwanderung und die vielen Kräne bereiteten Sorgen, wobei durchaus beide Seiten der Medaille gesehen würden. «Einerseits wird bedauert, dass eine Wiese nach der anderen verschwindet, andererseits wissen die Leute, dass das mehr Steuern und Arbeit bedeutet. Und die Grundbesitzer wollen ihr Recht, zu bauen, nicht verlieren.»

Hardegger stellt aber doch fest, dass die verkehrs- und wachstumskritischen Stimmen unter den Besucherinnen und Besuchern zunehmen anders als etwa an der Gemeindeversammlung. «Die Leute, die in die Sprechstunden kommen, sind selten jene, die an der Gemeindeversammlung aufstehen.» Im Unterschied zu den Engagierten, die mit dem «ordentlichen» demokratischen Prozess vertraut seien und ihn nutzten, kämen in die Sprechstunde häufig Personen, die er nicht kenne. Sie zögen das vertrauliche Gespräch dem öffentlichen Auftritt vor. Er höre von ihnen denn auch immer wieder, dass sie es toll fänden, etwas so direkt vorbringen zu können.