Rede  zum 1.August 2019 in Schwerzenbach

Zwischen Wunsch und Wirklichkeit

Kennen Sie Pippi Langstrumpf? Das selbstbewusste Mädchen mit den roten Zöpfen – vorlaut, um keine Antwort verlegen, unabhängig. Pippi Langstrumpf wohnt wie sie will; macht das, was sie will; missachtet alle Regeln unserer anständigen Gesellschaft und bringt damit Behörden und Nachbarn zur Verzweiflung. Sie löst aber auch Bewunderung aus, weil sie sich nicht dreinreden lässt und zuerst das macht, wozu sie gerade Lust hat. Unangenehmes oder Pflichten übersieht sie einfach. So singt sie denn auch:

Ich mach' mir die Welt (Widdewidde), wie sie mir gefällt.

Offenbar trifft sie den Herzenswunschwunsch vieler Kinder und sicher auch vieler Erwachsener: Nur auf das reagieren, was mir gefällt, und nur das akzeptieren, was ich meine, gehöre in mein Leben. Im richtigen Leben geht das nicht. Es ist nicht alles Schöne bedingungslos vorhanden, und neben sich selbst gibt es ja auch noch andere Menschen mit ihren Ansprüchen. Und Pippi Langstrumpf verunsichert auch, nicht nur die Lehrkräfte und Behörden, auch uns: Ist das streng geregelte Leben, wie wir es uns auferlegen tatsächlich in jedem Fall erstrebenswerter, als sich einmal treiben und überraschen zu lassen durch Zufälle, Chancen, Gelegenheiten?

Was hat das mit der Politik zu tun? Sehr, sehr viel. Wunsch und Wirklichkeit gehen vielfach sehr weit auseinander. Ich bin schon lange in der Politik und habe in meinen 16 Jahren Gemeinde-Exekutive viele Erfahrungen gesammelt; eine ist gewesen, dass wir immer wieder herauszufinden müssen, 1. was sind die Bedingungen unter denen wir handeln, 2. was sind die Möglichkeiten, die sich uns eröffnen, 3. was ist eine zukunftstaugliche Lösung und 4. am allerwichtigsten: Was wird verstanden und auch akzeptiert. Angefangen bei der Tempo 30 Zone, bei der Sanierung des Hallenbades, der Subventionierung der Kinderkrippenplätze, der Gestaltung der Kreisel und beim Bau von Alterswohnungen. Überzeugt der Vorteil, wird er von der Bevölkerung, die entscheidet, auch so verstanden.

Immer ist die Auseinandersetzung zwischen der Wunschvorstellung und der Wirklichkeit wichtig, damit wir tragfähige Lösungen finden, die verstanden und akzeptiert werden.

Und wie traditionell das Hin- und Hergleiten zwischen Wunsch und Wirklichkeit ist, zeigt sich schon beim Feiern des 728-igsten Jahrestages des Rütlischwurs. Am 1.August wird gern ja auf die Gründungsmythen der Eidgenossenschaft zurückgegriffen.

Und der Wunsch, sich ein schönes Bild zu zeichnen, obsiegt oft schon bei der Interpretation der Gründungsgeschichte. Das könnte uns eigentlich gleich sein, weil schöne Legenden soll man geniessen. Aber sie werden auch heute noch ständig benützt, um ein Wunschbild der Welt von damals auf heute zu übertragen. So romantisch ist die Welt damals nicht gewesen und sie ist es heute schon gar nicht. So wird der Bund, der 1291 auf dem Rütli geschlossen wurde, als Begründung der Unabhängigkeit und der Demokratie dargestellt.

Richtig ist aber, dass die Alte Eidgenossenschaft als loses Bündnis von drei Talschaften am Vierwaldstättersee entstanden ist. Ziel ist nicht eine Loslösung vom Deutschen Reich gewesen, sondern die Verlängerung gewisser alter Vorrechte, die ihnen mehr Selbständigkeit sicherte. Die lokalen Führungsschichten, also die wichtigen Familien, haben damit ihre eigene Vormachtstellung innerhalb der Urkantone gefestigt. Es steht im Bundesbrief explizit, dass jeder weiterhin gemäss seinem Stand seinem Herrn dienen soll. Gleiches gilt für die Ablehnung fremder Richter, die Bundesbrief erwähnt werden. Die historische Forschung belegt, dass damit Statt­halter oder Verweser (Stell­ver­treter) von auswär­tigen Machthabern gemeint waren: Statthalter, die die Rechtsprechung von einheimischen Männern beaufsichtigt haben. Um fremde Richter ging es gar nicht, man wollte nicht, dass über solche Statthalter fremdes Recht den einheimischen Richtern befohlen werden kann.

Genau wie heute, die gleiche Fragestellung bei den Bilateralen Verträgen, beim Europäischen Menschenrechtsgerichtshof oder aktuell beim Rahmenabkommen mit der EU. Auch hier müssen wir Fehlinterpretationen korrigieren und zwischen Wunsch und Wirklichkeit unterscheiden.

Angesicht der grossen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Verflechtung mit der EU brauchen wir geregelte Verhältnisse. Ob im Mietrecht, im Strassenverkehr oder internationale Vereinbarungen: Vertragliche Abmachungen schützen immer den schwächeren der Partner, denn der Stärkere könnte ganz gut auch auf Vereinbarungen verzichten.

Das Rahmenabkommen oder auch institutionelles Abkommen zwischen der EU und der Schweiz wird kontrovers diskutiert. Müssen wir automatisch fremdes Recht übernehmen? Werden staatliche Beihilfen, z.B. die Förderung der Wasserkraft, Staatsgarantien bei Kantonalbanken, Wohnbau- oder Tourismusförderung verboten? Sinkt das Niveau beim Lohnschutz? Vieles kann durch Präzisierungen des Vertragstextes oder durch innenpolitische Regelanpassungen geklärt werden. Damit das Vertragswerk in einer Volksabstimmung durchkommt, sind die Klärungen notwendig. Wir werden aber auch wie immer abwägen müssen, ob mehr zählt, was wir gerne hätten und was für unseren Wohlstand und unsere Autonomie unerlässlich ist.

Sehr umstritten ist Frage der Rechtsübernahme - eben, wie beim Bundesbrief: Wer kontrolliert die Einhaltung der vertraglichen Bestimmungen. Durch das Rahmenabkommen werden nicht fremde Richter urteilen, sie werden auch nicht die Schweizer Richter anweisen, was sie urteilen müssen. Jede Gesetzesänderung im EU-Raum kann von der Schweiz abgelehnt, auch mit Referenden bekämpft werden. Schweizer Gesetze werden durch die Schweizer Bevölkerung beschlossen und die Richter urteilen danach. Nur wenn ein Gesetz dem Abkommen widerspricht und dadurch gravierende Nachtteile für die EU entstehen würden, könnte sie mit verhältnismässigen Massnahmen reagieren. Diese können aber wiederum angefochten und auf die Verhältnismässigkeit überprüft werden.

Der Wunsch aber, dass wir ohne die anderen, die anderen aber nur mit uns leben können, müssen wir fallenlassen und uns der Wirklichkeit stellen.

Gleiches gilt, wenn wir meinen, wir könnten mit etwas mehr Velofahren und konsequentem Glasrecycling den Klimawandel aufhalten. So sehr jeder individuelle Beitrag an eine Ökologisierung der Schweiz und der Welt wertvoll ist und unbedingt unterstützt werden muss, freiwilliges Handeln wird nicht reichen. Wenn das CO 2, das bis heute ausgestossen wurde, noch Jahrhunderte weiterwirkt, wird sich die Erde weitererwärmen mit allen Konsequenzen bezüglich Wetterextreme und Umweltkatastrophen – das auch, wenn wir schon ab morgen kein weiteres CO2 in die Atmosphäre abgeben würden. Zum Glück, und das ist auch Wirklichkeit, sind Rezepte genügend vorhanden, so dass wir unseren Kindern und Enkeln auch eine Erde übergeben könnten, auf der sie eine Zukunft haben. Von Totalersatz fossiler Energieträger über erneuerbare Energien, Energieeffizienz und Förderung lokaler Produktion bis zu ersten Versuchen CO 2 aus der Atmosphäre zu filtern. Mögliche Lösungen sind vorhanden. Wer ist auch bereit, sie umzusetzen? Die Einsicht ist bei vielen vorhanden, doch wenn liebgewonnene Gewohnheiten teurer werden, fragen sich viele, ob es gerecht ist, wenn die Reichen mit der Überstrapazierung unserer Erde weitermachen können und die tieferen Einkommen die Zeche des Raubbaus bezahlen. Ich bin überzeugt, dass wir eine Akzeptanz nur erreichen, wenn ökologisches Verhalten belohnt wird und umweltschädigendes belasten. Wer eine Ferienreise ohne Flugzeug macht, soll von den Abgaben der Flugreisenden profitieren können. Wer wenig Energie braucht, soll von den Aufpreisen auf Strom, Öl und Gas etwas erhalten. Es braucht keine neue Steuern, sondern ein Bonus-Malus System im Bereich von klimaschädigende Handeln.

Immer wieder höre ich, dass der Anteil der Schweiz am Klimawandel gering ist. Das stimmt ja auch, aber es ist immer auch die einfachste Ausrede, um nichts tun zu müssen. Richtig ist eben auch, dass wir zu den Ländern mit dem höchsten selbstproduzierten und importierten CO 2- Ausstoss pro Person gehören. Dazu tragen wir auch als Land mit hohem Lebensstandard eine besondere Verantwortung.

Nicht nur bei den Umweltfragen sind wir nicht alleine, auch bei der Migration sind wir ein Teil dieser Erde. Wir müssen sogar zur Kenntnis nehmen, dass unser Einfluss grösser ist als wir meinen. Sowohl bei Klimaflüchtlinge wie bei Kriegsvertriebenen können wir die Augen nicht von der eigenen Verantwortung verschliessen. Dass der Bundesrat in dieser Situation beschliesst, Waffenexporte sogar in Bürgerkriegsländer zuzulassen, entspricht weder der schweizerischen Neutralität noch unserer humanitären Tradition. Durch die eingereichte Volksinitiative wird das hoffentlich von den Stimmberechtigten korrigiert – lanciert wurde sie von den Kirchen, Menschenrechts- und Entwicklungshilfeorganisationen.

In unseren Reiseträumen gibt es für uns keine Grenzen mehr. Wir reisen auf der Welt dorthin, wo es uns gerade reizt, hinzugehen. Die Sehenswürdigkeiten der armen Länder sind unsere Sehenswürdigkeiten. Wir bringen ihre Rohstoffe in unseren Besitz. Wir lassen uns bedienen in herausgeputzten Urlaubsressorts. Wir anerkennen für uns keine Grenzen mehr. Die Wirklichkeit erwischt uns dann wieder, wenn sich die Menschen aus diesen Ländern aufmachen und an unserer Grenze stehen, verlangen wir, dass sie unsere Grenze respektieren und fragen, ob sie bei uns bleiben können.

Solange wir nicht mithelfen, ihre Lebensbedingungen vor Ort zu schützen und zu bewahren, werden wir mitansehen müssen, wie sich Menschen aus Verzweiflung aufmachen, grosse Risiken auf sich nehmen und uns mit schrecklichen Bildern von ihren geglückten oder missglückten Flucht in den Medien daran erinnern, dass wir in uns in unserer gemeinsamen Welt befinden und wir in einer Schicksalsgemeinschaft leben.

Ich kehre zurück zum Bundesbrief, denn ein Wunsch darf Wirklichkeit sein und von uns weiterverfolgt werden. Zu Beginn des Briefes steht: «Das öffentliche Ansehen und Wohl erfordert, dass Friedensordnungen dauernd gelten sollen.»

Das öffentliche Wohl war also ebenfalls Anlass für den Bund. Ob es nun nur für die Reichen oder für alle gelten sollte, bleibe dahingestellt. Aber die Einsicht, dass es einem Einzelnen nur gut geht, wenn es auch den anderen gut, hat mit dazu geführt, den Bund zu schliessen.

Dieses Anliegen steht auch in der Präambel der heutigen Bundesverfassung: « dass die Stärke des Volkes sich misst am Wohl der Schwachen«. Und ein starkes Volk sind wir, auch dank unserem stabilen politischen System.

 

In einer Zeit des ungezügelten Individualismus ist der Zusammenhalt von Starken und Schwachen die Lebensversicherung unserer Gemeinschaft. Darum gilt es, unseren Sozialwerken Sorge zu tragen, ob AHV/IV, Pensionskassen, Grundversicherung im Gesundheitswesen, die Arbeitslosenkasse, die Ergänzungsleistungen und die Sozialhilfe. Sie alle sind beschlossen und bestätigt worden durch Volksabstimmungen, und damit wird die solidarische Unterstützung der Gemeinschaft für die finanziell weniger Glücklichen regelmässig bekräftigt.

Es mag ja hin und wieder Personen geben, die das soziale Auffangnetz auszureizen versuchen. Perfekt war es nie und wird es nie sein. Aber schauen sie mal: Bei uns finden sie kaum Bettler, wenig Obdachlose, keine Slums. Reisen Sie mal in irgendeine Stadt dieser Welt: Wo finden Sie eine vergleichbare Situation? So stellt sich einzig die Frage, was uns dies wert ist und ob wir uns weiter für Integration statt für Separation einsetzen und uns das etwas kosten lassen. Dass sich nicht alle Menschen in unsere gesellschaftlichen Zwänge einordnen wollen oder können, hat es in der Schweiz in jeder Epoche gegeben und die Familie, die Gemeinde, die Wirtschaft konnte sie mittragen, ohne sich zu überfordern. Sind wir heute weniger bereit, füreinander zu sorgen?

Wir haben das beste politische System, das noch händelbar ist – und viele beneiden uns darum. Es ist aber eher vor 171 bei der Gründung des Bundesstaates begründet worden als mit dem Rütlischwur. Unsere direkte Demokratie verlangt von uns aber, dass wir mitdenken, mitentscheiden und uns mitverpflichten lassen. Andere Demokratien wählen alle vier, fünf Jahre ihre Vertreterinnen und Vertreter, die dann – wie bei uns auch – immer alles falsch machen. Sie können aber bis zur nächsten Wahl nicht eingreifen. Mit der direkten Demokratie können Parlamentsentscheide sofort korrigiert werden. Und bereits die Drohung mit dem Referendum verhindert viele schlimmere Beschlüsse. So ist in der letzten Session die Erhöhung der Krankenkassenfranchise mit einer blossen Referendumsdrohung verhindert worden. Diese hätte Familien, Betagte und chronisch Kranke besonders hart getroffen.

Nun, mit der direkten Demokratie sind alle Stimmberechtigten mitverantwortlich für den politischen Kurs der Gemeinde, des Kantons und der Schweiz, ob sie das Stimmrecht ausüben oder nicht – und alle müssen sich mit Wunsch und Wirklichkeit des politischen Umfeldes auseinandersetzen, mit den Chancen und Risiken – zum Beispiel bei der Positionierung der Schweiz in Europa und der Welt, bei der Minderung der Klimaschäden, der Aufrechterhaltung der humanitären Tradition der Schweiz und dem Schutz der Schwächeren.

Wir können stolz sein auf unsere direkte Demokratie, und die Jungen haben sie wiederentdeckt, viele engagieren sich wieder mehr, auf der Strasse und im Parlament. Sie stellen ihre Forderungen und wir sollten hinhören und mitdiskutieren. Sie werden mitentscheiden, ob wir tragfähige Lösungen finden für die Zukunft, unser aller Zukunft. Und wenn sich Wunsch und Wirklichkeit mal in die Quere kommen, regt das zum Nachdenken an. Das tut der Demokratie gut.

Und wenn sich unter den Jugendlichen mal eine politische Pippi Langstrumpf findet, die ihre eigenen Regeln und ihre eigenen Methoden anwendet, dann belebt es das politische Leben - und wir, mit 171 Jahren Erfahrung an direkter Demokratie, tragen das gelassen mit.

Ich wünsche Ihnen eine schöne Bundesfeier und eine glückliche Hand beim Ausfüllen Ihrer Stimm- und Wahlzettel.

Schwerzenbach, 1. August 2019 – Thomas Hardegger, Nationalrat SP, Rümlang

 

Mein Artikel im p.s. zeitung vom 21.6.2019

Die Partei-Sekretariate und Parlamentarierinnen und Parlamentarier aller Parteien sind gegenwärtig konfrontiert mit Dutzenden von Anfragen, wie sie sich zur Entwicklung der Mobilfunktechnologie, insbesondere der Einführung der neuen 5.Generation 5G stellten. Eine Positionierung in dieser hochtechnischen, aber auch biologisch-medizinischen Thematik ist eine grosse Herausforderung. Wir haben auf der einen Seite die Mobilfunk- Branche, die mit grosser Hektik die Aufrüstung der Versorgungsinfrastruktur vorantreibt und mit einer unheimlichen Vehemenz 5G-Nutzung bewirbt. Auf der anderen Seite stehen viele Menschen, die sich vor einer flächendeckenden Bestrahlung fürchten, weil sie selbst elektrosensibel sind oder das rasante Tempo der Einführung der neuen Technologie als schädlich für Gesellschaft, Gesundheit und Umwelt erachten. Dass am äussersten Rand auch noch Verschwörungstheoretiker als 5G-Gegner auftreten, macht es Skeptikern nicht einfacher, berechtige, kritische Fragen zu stellen.

Votum im Nationalrat - 20. Juni 2019

Forscher in den USA zeigten 2011 auf, dass die Nervenkrankheit Parkinson sich stärker als andere Alterskrankheiten in Landwirtschaftszonen verbreitet. Landwirtschaftsangestellte erkranken dazu noch dreimal häufiger, wenn sie in der Nähe von Feldern arbeiten, auf denen regelmässig Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden. Seit 2012 gilt deshalb in Frankreich Parkinson bei Landwirten als Berufskrankheit.

Dies ist ein Beispiel wie es viele gibt über die Auswirkungen von Pestiziden, Insektiziden und Düngemitteln auf unsere Gesundheit – sei es indem wir Spuren davon im Trinkwasser, über Luft oder über die Lebensmittel konsumieren.

Die EAWAG hat im Dezember 2018 in einer Studie dargelegt, dass Antibiotikaresistenzen durch die Kläranlagen nicht nur nicht vollständig eliminiert werden, sondern dass sie im

Abwasser auch aktiv sind und sich verändern. In der Antwort des Bundesrates auf eine Interpellation von mir, bestätigt er, dass die heutigen Kläranlagen nur 90-99% der antibiotikaresistenten Bakterien entfernen und dass noch keine routinemässigen Messmethoden im standardisierten Einsatz stehen. Die Risiken für die Bevölkerung und Umwelt sind deshalb noch nicht einmal abschätzbar. Dieses Jahr hat die EAWAG im April dann aufgezeigt, dass Bäche im Landwirtschaftsgebiet stark mit Herbiziden oder Insektiziden belastet sind. Forscher aus Lausanne wiesen kurz darauf sogar auf Bioäckern und ökologischen Ausgleichsflächen Pestizide nach, wegen der Abdrift von konventionell bewirtschafteten Feldern.

Die zwei Volksinitiativen greifen deshalb wichtige Themen auf, weil die Schweiz ein echtes Problem mit Pestiziden und der Trinkwasserbelastung hat. Die Untätigkeit der Politik ist für breite Bevölkerungskreise in diesem Land nicht mehr zu ertragen. Sie haben das Vertrauen verloren, dass das Parlament gewillt ist, die Gesundheit von Mensch, Tier und Pflanzen und die Artenvielfalt ausreichend zu schützen. Es ist allerhöchste Zeit, dass die Politik verbindliche Lösungen verabschiedet.

Dass die zur Diskussion stehenden Massnahmen der AP 22 nicht reichen werden, bestätigt auch der Verband der Schweizerischen Wasserversorger, die darauf hinweisen, dass jeder vierten Wasserfassung wegen Konflikten mit der Landwirtschaft die Schliessung droht.

Freiwilligkeit führt aus Erfahrung leider kaum zu einer Verbesserung, allen Versprechungen des Bauernverbandes zum Trotz. Die Stellungnahme des SBV zu den Massnahmen der AP22+ belegen ihre Kompromisslosigkeit. Sie wollen nicht, dass die Direktzahlungen gekürzt werden können, wenn ein Betrieb gegen das Gewässerschutzgesetz verstösst. Ich habe grosse Sympathien für die Landwirtschaft und grosse Teile der Bevölkerung sind bereit höhere Preise für inländische, teurere Produkte zu zahlen – wenn sie denn unbedenklich für Gesundheit und Umwelt sind.

Der Rückweisungsantrag würde ermöglichen mit einem Gegenvorschlag eine Verbindlichkeit zu installieren, damit das Trinkwasser geschützt wird, die synthetischen Pestizide verboten werden und unsere Lebensmittel konsequent umweltverträglich produziert werden.

Auch die gegenwärtig geführte Klimadiskussion wird zwingend zu einem Umdenken in der Landwirtschaft führen. Mastbetriebe, die grosse Mengen an Futtermitteln für die Fleischproduktion einführen, für die Regenwälder abgeholzt wurden und die mit präventivem Antibiotikaeinsatz versorgt werden, dürfen nicht mehr mit Fehlanreizen durch die Direktzahlungen gefördert werden.

Hätte der Bauernverband Interesse an einer Lösung mit einem wirksamen Schutz unserer Gesundheit, würde er an einem Gegenvorschlag mitarbeiten. Lenkungsabgaben könnten dabei die nötigen Anreize setzen, dass auf schädliche Produktionsmethoden verzichtet wird. Das Problem bei den Pestiziden ist doch gleich wie beim CO2-Ausstoss: Die Umweltkosten werden nicht von denen getragen, die sie verursachen. Mit hohen Abgaben auf Pestiziden könnten schonendere Methoden unterstützt werden, die Umwelt geschützt und gesunde Lebensmittel produziert werden.

Die verbissene und renditegetriebene Haltung der Kommission unter dem Druck des Bauernverbandes erleichtert es uns immerhin die Initiativen vorbehaltlos zu unterstützen. Ein griffiger Gegenvorschlag, der die Ziele der Initiativen mit milderen Massnahmen ebenfalls erreicht, scheint gegenwärtig noch nicht mehrheitsfähig.

Nach acht Jahren spannender Tätigkeit im Nationalrat bewerbe ich mich um die Nomination für die Legislatur 2019-2023.

Seit meinem ersten politischen Amt ist mir die Nähe zur Bevölkerung immer wichtig gewesen und auch geblieben. In den Gesprächen auf der Strasse, am Stammtisch, in meinen Sprechstunden als Gemeindepräsident oder an Versammlungen verschiedenster Sektionen wird mir bestätigt, dass die Menschen – Genossinnen oder politische Mitbewerber – unsere Politik «Für alle statt für Wenige» brauchen und wertschätzen: Die fehlende Verkehrsberuhigung im Quartier; die Sorge um eine gute Schulbildung für die Kinder; mangelnder günstiger Wohnraum für Familien, Personen in Ausbildung und im Alter; die Gleichstellung aller Menschen mit «gleichem Lohn für gleichwertige Arbeit», die Bekämpfung jeglicher Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts oder der sexuellen Orientierung, die prohibitiven Einbürgerungsbedingungen für die ausländischen Mitbewohnerinnen; die ungesetzliche Fluglärmbelastung in den Abend- und Nachtstunden, die ungerechte Steuerbelastung mit der sich öffnenden Schere bei Einkommen und Vermögen oder aber der Mangel an Kita-Plätzen. Viele dieser Gespräche sind für mich eine grosse Motivation, mich für unsere Ziele einzusetzen und viele Menschen für die Mitarbeit in der SP zu gewinnen.

1972 veröffentlichte  der Club of Rome den Bericht «Die Grenzen des Wachstums». Seither mache ich Umwelt- und Klimapolitik – in der SP, weil der Zugang wie etwa zu sauberem Wasser, gesunden Nahrungsmitteln, Bildung und Gesundheitsversorgung immer eine Frage der gerechten Verteilung der Ressourcen ist. Die Klimastreiks mit dem grossartigen Engagement der Jungen helfen nun, unsere langjährigen Forderungen im Umweltschutz und der Entwicklungszusammenarbeit zum Durchbruch zu verhelfen. Faire Verteilung der nachwachsenden Ressourcen und verantwortungsvolles Handeln «Für alle statt für Wenige»: Das ist die grüne Politik, wie wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sie verstehen.

Mit meinem breiten Erfahrungshintergrund - von der Bildung über die Sozialpolitik, den Patientenanliegen in der Gesundheitspolitik, dem gemeinnützigen Wohnungsbaus und dem energieoptimierten Bauen, der Verkehrspolitik vom Fuss- und Veloverkehr bis zum Luftverkehr und der Raumplanung - kann ich mich kompetent einbringen. Die Arbeit in der Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen sowie der Geschäftsprüfungskommission (Subkommission EDI / UVEK und Gerichte BA) erlauben mir, Forderungen in verschiedenen Gremien direkt einzubringen.

Die SP wächst nun auch in der Agglomeration, die Gemeindewahlen 2018 haben dies eindrücklich dokumentiert, denn die gleichen Problemstellungen finden sich in Städten und Agglomerationen. Für sozialdemokratische Mitglieder ist es dort aber ungleich schwieriger in Exekutiven gewählt zu werden. «Agglopolitiker“ sind es gewohnt, auch in einem schwierigen politischen Umfeld sozialdemokratischen Anliegen zum Durchbruch zu verhelfen. Wir geben der SP ein Gesicht und stärken sie – in der Gemeinde, im Kanton und in Bern. Dieser Aufgabe widme ich mich gerne weiterhin mit Engagement und bitte Euch um Euer Vertrauen und Unterstützung. Vielen Dank.

Thomas Hardegger

Geschäft 18.066 - Nationalstrassen - Ausbauschritt 2020-2023

Hardegger (SP,ZH) 21. März 2019

Die bürgerliche Mehrheit hier im Saal ist offenbar gewillt, mit vielen Strassenprojekten Zeichen zu setzen. Doch welche Zeichen setzen Sie mit diesen zusätzlichen Projekten? Im Bundesbeschluss II über den Ausbauschritt 2019 - d. h. im Programm für die nächsten Jahre, 2020-2023, und nicht für die nächsten fünfzig Jahre - haben Sie Strassenprojekte aufgenommen, bei denen der Bearbeitungsstand weit weg von der Realisierung ist, die Verantwortung noch gar nicht beim Bund ist, die Kosten unklar sind, der Nutzen nicht gesichert ist, die Priorisierung nach der Dringlichkeit ungeklärt ist, der Kulturlandverlust unverhältnismässig ist, die Entlastungswirkung für das Siedlungsgebiet ungewiss ist und die Bevölkerung auf Kantonsebene zum Teil den Finanzierungsbeitrag abgelehnt hat. Und nun soll das der Bund finanzieren. Ich bin dankbar dafür, mit welcher Offenherzigkeit Sie Ihre unverantwortliche Verkehrspolitik darlegen.
Wohlverstanden, die Liste, die Sie jetzt eingefügt haben, wollen Sie ja realisieren. Sie wollen die Vorhaben nicht nur planen. Wenn man all diese Kosten zusammenzählt, dann muss man davon ausgehen, dass Sie für mindestens 10 Milliarden Franken Strassen bauen wollen. Sie wollen neue Kapazitäten schaffen und damit neuen Verkehr generieren. Sie haben damit zum Entwurf des Bundesrates faktisch mehr als eine Verdoppelung vorgenommen.
Es ist halt schon ein Unterschied, ob ein Ortszentrum vom Durchgangsverkehr entlastet wird, wie das dem Entwurf des Bundesrates entspricht, was bei den Fahrspuren im Siedlungsgebiet eine Reduktion erlaubt, oder ob mit einer neuen Autobahn zusätzlicher Verkehr durch das Siedlungsgebiet gesogen wird. Die Autos tauchen nicht automatisch auf der Schnellstrasse auf und verschwinden dort wieder. Jede zusätzliche Fahrspur braucht Zu- und Wegfahrten. So wirken Hochleistungsstrassen wie Staubsauger, die den Verkehr durch die Siedlungsgebiete ansaugen. Sie demonstrieren hier eine Verkehrspolitik, die alle Realitäten negiert.
Gegen Verkehrsüberlastung reagieren Sie mit mehr Strassen. Das kommt mir vor, wie wenn bei einem Kranken ein Medikament nicht mehr richtig wirkt und Sie einfach die Dosis steigern - eine Überdosis an Bluthochdruckmittel führt zum Herzstillstand! So läuft Ihre Verkehrspolitik.
Mit dem Verpflichtungskredit, den Sie beantragen, weigern Sie sich auch, Verantwortung für Ihre Bestellung zu übernehmen. Nun soll es der Ständerat richten. Korrekt wäre es, Ihre Bestellung mit dem dazugehörigen Preisschild zu versehen. Wenn Sie im Internet etwas bestellen, verzichten Sie dann auch nachzuschauen, wie viel es dann allenfalls einmal kosten wird? Mit diesem Verpflichtungskredit haben Sie das Problem nicht gelöst.
Der Minderheitsantrag Hadorn limitiert wenigstens vorerst die Mittel, die zur Verfügung stehen. Der Ständerat kann dann versuchen, dort Prioritäten zu setzen, wo Strassenbauten auch einen Nutzen für die Bevölkerung bewirken können.
Wir werden den Bundesbeschluss 3 ablehnen, und ich hoffe, auch Sie werden dem folgen.