März 2011 - Ja, ja ich weiss, ich habe einige Pfunde zu viel. Nicht nur beim Treppensteigen und beim Anziehen wird mir bewusst, dass weniger mehr wäre. Durch meine Tätigkeiten verpflege ich mich des öfteren zwischendurch und nicht zu selten nehme ich an offiziellen Essen teil. Da kannst du ein Diätprogramm natürlich gleich vergessen. Aber auch mit einem solchen Lebensstil müsste doch eine Ernährung möglich sein, die mir die Energie für den Tag gibt, die nicht aufträgt und den gesellschaftlichen Aspekten des gemeinsamen Essens Rechnung trägt.

 

Ich treffe in meiner Umgebung jede Menge Leute an, die sich in ähnlichen Nöten befinden; das ist mir aber ein schwacher Trost. Aber sie und ich sichern mit unserem Life-Style-Problem auch mittlerweile Tausende von Arbeitsplätzen. Es beginnt mit der Produktion besonders gekennzeichneter Lebensmittel, die uns schlank halten sollen. Dann gibt es die Firmen mit Ernährungsprogrammen, die Fitness-Studios zum Verbrennen der überschüssigen Kalorien, die Beauty-Salons zum Fettabsaugen, die Pharma-Industrie mit Appetitzüglern und die Medizin gar mit operativen Eingriffen. Bei unseren Lebenshaltungskosten wird der Anteil für die Lebensmittel immer geringer, dafür bezahlen wir immer mehr für die Behebung der Auswirkungen unseres Konsums.

Wenn wir schon das Gefühl haben, wir müssten weniger essen, wieso kaufen wir dann doch die Aktions-Mega-Packung im Supermarkt? Wieso loben wir den Wirt für seine grosszügige Portion und Supplements. Offenbar hat uns die Evolution noch nicht weitergebracht als die Höhlenbewohner, die wenn sie mal einen Wisent erlegen konnten, sich die Bäuche vollschlagen mussten. Wir verhalten uns wie wenn die nächste Hungersnot vor der Türe stehen würde, wie wenn die kilometerlangen Selbstbedienungsgestelle morgen verschwunden wären und wir morgen wieder in die Wälder zum Jagen und Beerensammeln ziehen müssten.

Noch absurder wird unser Dilemma zusätzlich in Anbetracht der Millionen von Hungernden und den Tausenden, die täglich verhungern. Natürlich weiss ich, dass ich mit weniger essen kein Kind direkt vor dem Hungertod rette.  Und auch den eigenen Kindern habe ich das Aufessen nicht mit dem Schuldgefühl gegenüber den mangelernährten Kindern aufgezwungen. Ganz negieren einer Abhängigkeit des Hungers in der Dritten Welt mit unserem Überfluss können wir aber nicht. Immer höher werden die Anteile der Ernten, die über Rohstoffbörsen gehandelt werden. Die Spekulanten treiben die Preise für Weizen, Kakao, Soja, Mais und vieles andere so in die Höhe, dass sie letztlich nur noch von unseren Händlern in der ersten Welt bezahlt werden können. Dazu verwenden wir riesige Mengen an Energie, um aus den Rohstoffen der dritten Welt unsere Life Style Produkte herzustellen. Wieso wundern wir uns,  wenn Menschen aus den ärmsten Ländern aufbrechen, um bei uns ihre Lebensgrundlagen zu verbessern?

Hätte ich statt am Computer sitzend diese Gedanken aufzuschreiben einen Spaziergang durch unsere schönen Wälder gemacht, dürfte ich nun ein Stück Kuchen ohne schlechtes Gewissen essen. Dabei will ich weder mir noch Ihnen ein schlechtes Gewissen machen, - aber beim Einkaufen werde ich sicher wieder vermehrt auf die Herkunft und die Herstellung der Produkte achten.

Thomas Hardegger