Mai 2011 - Gehören Sie zu dem Drittel der Stimmberechtigten, die vor 10 Tagen an der Abstimmung zu  den Steuervorlagen, dem Finanzausgleich, den Krankenkassenprämienverbilligungen, zur Sterbehilfe und zur Mundart im Kindergarten teilgenommen haben? – Ja? Vielen Dank. Haben Sie die Fragen verstanden oder haben Sie einfach nach Gutdünken mal Ja, mal Nein gestimmt? Haben Sie sich in der Abstimmungszeitung  über die Vorlagen informiert und mit Freunden diskutiert, was für uns Menschen im Kanton Zürich wohl das Beste wäre?

 

Oder gehören Sie zu den Personen, die das Couvert geöffnet haben, die unzähligen Zettelchen gesehen haben und ausgerufen haben: „Was soll denn das, wer soll diese Fragen verstehen? - Nicht mit mir, fort damit!“

Ich verstehe Sie gut, wenn Sie sich über das letzte Abstimmungscouvert geärgert haben. Ein Abstimmung zum Steuergesetz mit drei Varianten und drei Stichfragen führt zu 729 gültigen Möglichkeiten den Stimmzettel auszufüllen. Welcher und welche Stimmberechtigte kann nach dem Ausfüllen des Abstimmungszettel sicher sein, richtig ausgefüllt zu haben? Mich haben einige Kolleginnen und Kollegen angesprochen und nachdem sie das Couvert bereits abgeschickt haben, zu mir gesagt haben: „Aha, das war gemeint. Dann habe ich aber falsch abgestimmt.“

Wohin haben wir unsere Demokratie getrieben? Demokratie heisst „Herrschaft des Volkes“; wenn es für das Ausfüllen eines Stimmzettels aber ein Hochschulstudium braucht, fühlt sich der grösste Teil der Bevölkerung beim Mitentscheiden ausgeschlossen. Das vom Verfassungsrat vorgeschlagene konstruktive Referendum sollte zu einer Verfeinerung der demokratischen Instrumente für mündige Stimmberechtigte führen. Angewendet wird es aber offensichtlich „missbräuchlich“, um Abstimmungen hinauszuzögern oder sich als Partei zu profilieren. Es werden Unterschriften gesammelt für Forderungen, die später gar nicht umgesetzt werden können.

Was nützen uns zusätzliche demokratische Instrumente, wenn sie zur Stimmabstinenz führen? Dazu kommen ja noch weitere Beeinträchtigungen des Stimmrechts:

-          Wird tatsächlich darüber abgestimmt, was in der Abstimmungsfrage formuliert ist? Heisst es bei „Ja zu Mundart im Kindergarten“ etwa, dass ein Mundartverbot droht? Wieso gibt es kein Verbot für irreführende Titel bei Initiativen und Referenden?

-          Wer finanziert die Werbekampagnen? Sind es Interessenvertreter, die persönlich vom Resultat profitieren?

-          Wird Ihr Geld eingesetzt, ohne dass Sie es wollen. Zahlen Sie vielleicht mit Ihrer Stromrechnung die Pro-AKW-Kampagne oder mit Ihren Krankenkassenprämien die Kampagne gegen eine öffentliche Krankenkasse?

-          Warum können Abstimmungen zu Volksinitiativen jahrelang hinausgezögert werden, wie zum Beispiel die „Abzocker-Initiative“?

Dabei sind wir mit gutem Grund stolz auf unsere direkte Demokratie. Tagtäglich erfahren wir in den Nachrichten, wie in vielen Ländern für  die grundlegendsten demokratischen Rechte gekämpft und gar gestorben wird.

Damit unsere direkte Demokratie nicht nur ein Recht ist, sondern auch genutzt wird, müssen unsere Instrumente verständlich sein: Klare Fragestellungen, transparente Finanzierung der Kampagnen und nur Abstimmungsfragen mit Forderungen, die rechtlich umsetzbar sind. Alles andere gefährdet unsere Demokratie und führt uns nach Absurdistan.

Thomas Hardegger