Limmattaler Zeitung

Donnerstag, 9. September 2011

Der Euro-Franken-Wechselkurs bewegt die Politiker, der Atomausstieg das Publikum

Podiumsgespräch: Sieben Zürcher Ständerats-Kandidaten diskutierten im Zirkuszelt in Schlieren über Wirtschafts-, Energie- und Verkehrspolitik – angeregt, sachlich und trotz Wahlkampf weitgehend ohne personenbezogene Polemik.

 

Matthias Scharrer

 

Wahlkampf im Zirkuszelt: In einem für den Politikbetrieb ungewöhnlichen, aber durchaus passenden Rahmen fand am Dienstagabend das Ständerats- Wahlpodium der az Limmattaler Zeitung statt. Die Stars in der Manege des Schlierefäschts an diesem Abend kämpften nicht nur um den Applaus und die Lacher des Publikums auf den gut gefüllten Rängen: Ihr Ziel ist die Wahl in den Ständerat am 23. Oktober.

Moderator Jürg Krebs, Chefredaktor der az Limmattaler Zeitung, sprach zuerst die Wahlallianzen an – respektive jene, die nicht zustande kamen. Zwischen dem bisweilen als «Dreamteam» bezeichneten Bisherigen Verena Diener (GLP) und Felix Gutzwiller (FDP) etwa. Oder zwischen Gutzwiller und SVPKandidat Christoph Blocher. «Es gab zuerst eine Annäherung, doch jetzt geht man allein. Aber das heisst nicht, dass wir eine kleinliche Auseinandersetzung führen. Ständeratswahlen sind Persönlichkeitswahlen », erklärte Gutzwiller gelassen. Blocher betonte zunächst die Differenzen – im Majestätsplural: «Wir sind völlig verschiedene Parteien.» Dann gab er eine schon fast charmant verklausulierte Wahlempfehlung für den Freisinnigen Gutzwiller ab: «Man kann mich ja nicht zweimal auf den Wahlzettel schreiben. Gutzwiller ist das kleinere Übel, verglichen mit den anderen Kandidaten.» Es gehe darum, den Mitte-Links-Trend zu höheren Steuern zu stoppen.

Die Widerrede von SP-Kandidat Thomas Hardegger liess nicht auf sich warten: «Es stimmt nicht, dass die Steuern steigen. In den letzten Jahren sind sie gesunken.» Wahr sei, dass viele Leute wegen der steigenden Mieten und Krankenkassen-Prämien weniger Geld hätten. «Die Reichen werden reicher, die Armen ärmer», so Hardegger. Balthasar Glättli, der für die Grünen kandidiert und mit Hardegger ein gemeinsames Wahlticket bildet, ergänzte: «Unser Angebot ist eine linksgrüne Stimme, weil wir finden, im Ständerat gibt es zu wenig links-grüne Positionen.»

Von links nach rechts: Christoph Blocher (SVP), Urs Hany (CVP), Maja Ingold (EVP), Thomas Hardegger (SP), Jürg Krebs (az Limmattaler Zeitung), Verena Diener (GLP), Felix Gutzwiller (FDP) und Balthasar Glättli (Grüne) lieferten sich und dem Publikum im Zirkuszelt eine trotz aller Gegensätze faire Debatte.

 

Verena Diener betonte, sie und Gutzwiller seien ein «modernes Paar mit eigenständigen Profilen. Aber zusammen decken wir die ganze Bevölkerung ab.»

Die Kandidaten der Mitte-Parteien, Maja Ingold (EVP) und Urs Hany (CVP), seit vier Jahren im Nationalrat, erklärten ihre Ständerats-Ambitionen mit ähnlichen Worten. «Im Ständerat arbeitet man lösungsorientierter. Im Nationalrat geht viel Energie für plakative Positionierung verloren», sagte Ingold. Und Hany: «Im Ständerat wird Sachpolitik gemacht. Verkehrs-, KMUund Wirtschaftspolitik ist meine Politik. » Worauf der Moderator zum aktuellen Sachthema Nummer 1 überleitete: Dem am Dienstag verkündeten Entscheid der Nationalbank, einen stabilen Wechselkurs von Fr. 1.20 für einen Euro zu garantieren. Ein Befreiungsschlag?

Alle Kandidaten begrüssten den Entscheid – und redeten sich in Fahrt, um ihre dennoch unterschiedlichen Positionen darzulegen. «Mit dem Euro- Wechselkurs sind die Probleme nicht gelöst», meinte Gutzwiller. Diener gab zu bedenken: «Die jetzige Situation macht uns Schwierigkeiten. Doch wir sind gar nicht abzukoppeln von der EU. Sie ist unser grösster Handelspartner. Aber ich bin auch nicht für einen EU-Beitritt.»

Blocher: «Wir führen Krieg gegen den Euro. Im Krieg muss man alle Mittel einsetzen.» Er fügte an, dass für die kommenden wirtschaftlich schwierigen Jahre nicht nur der Euro-Kurs zähle: «Der Staat muss den Bürgern weniger Geld wegnehmen. Wir müssen die Mehrwertsteuer senken. Auf teure Bocksprünge in der Energiepolitik müssen wir verzichten.»

Glättli betonte, es komme darauf an, die Binnennachfrage zu stärken: «Wir müssen in die Energiewende investieren. »

Hany meinte, es sei richtig, dass die Nationalbank den Forderungen der Gewerkschaften nach einem höheren Euro-Wechselkurs nicht erfülle. «Sonst wäre die Inflationsgefahr viel grösser.»

Hardegger erinnerte an die Ursprünge der aktuellen Krise: «Ausgelöst wurde sie von der Finanzwelt. Die Zeche zahlen jetzt die Arbeitnehmer.» Der Entscheid der Nationalbank sei gut, komme aber sehr spät. «Wir forderten viel früher ein entschlossenes Vorgehen.» Ingold meinte bescheiden: «Ich masse mir nicht an, den Nationalbank- Entscheid zu beurteilen. Gefühlsmässig ist es ein guter Entscheid. » Themen wie das Verhindern einer Immobilienblase, ein strengeres Kartellrecht, mehr Kompetenzen für den Preisüberwache sollten laut Ingold aber nicht vergessen gehen.

Das vom Bundesrat geplante und inzwischen von 2 Milliarden auf 870 Millionen Franken eingedampfte Hilfspaket für die Wirtschaft stiess in der Gesprächsrunde allgemein auf Skepsis.

Während das Publikum im Zirkuszelt der wirtschaftspolitischen Debatte schweigend zuhörte, mischte es sich in die folgende Energiedebatte lebhaft ein. Lediglich Blocher wehrte sich klar gegen den geplanten Atomausstieg: «Wir dürfen die AKW sicher nicht abschalten, solange wir nichts anderes haben. Wir haben sichere Kraftwerke.» (Zwischenruf: «Wie Fukushima! ») Blocher weiter: «Wenn sie nicht sicher sind: Warum wollen Sie sie nicht sofort abstellen?» (Zwischenruf: «Morgen abstellen!») Blochers Fazit: «Ich komme aus der Industrie. Wir brauchen günstige Elektrizität.»

Glättli konterte: «Wer heute die Mär von billigem Strom aus AKW erzählt, erzählt eben Märchen. AKW sind nicht marktfähig. Niemand will sie versichern.» Das Beispiel Kalifornien, wo Stromkonzerne Strafe zahlten, wenn sie mehr als den bestellten Strom verkauften, zeige, dass es möglich sei, das Wachstum des Stromverbrauchs zu stoppen. Ein Atomausstieg bis 2029 sei machbar. Hardegger doppelte nach: «Das Potenzial für erneuerbare Energien und mehr Energieeffizienz ist enorm gross.» (Zwischenruf: «Träumer!)

Gutzwiller meinte hingegen: «Bis 2050 können wir das schaffen – mit einem grossen Effort. Neben einer sicheren Energieversorgung müssen wir aber auch unsere Klimaziele im Auge behalten.» Zu reden gab die Frage, wie definitiv ein Atomausstieg sein solle. Gutzwiller warnte vor einem Technologieverbot. Diener sagte, sie sei auf der Linie des Bundesrats, aber: «Kommende Generationen können auf den Entscheid zurückkommen.» Hany pflichtete ihr bei. Ingold jedoch erklärte: «Es gibt nur den Ausstieg. Nur wenn man sich klar entscheidet, ist die Energie da, sich zu engagieren.» Die letzten Sachthemen, denen sich der betont sachliche Politzirkus am Schlierefäscht widmete, gehören zur Verkehrspolitik: der Fluglärmstreit und die «Chance Gubrist».

Gefragt, wie der «gordische Knoten» des Fluglärm-Streits mit Deutschland zu lösen sei, plädierte Diener für einen Tauschhandel: Nordanflüge gegen Mitsprache für Deutschland bei der Planung eines Schweizer Atommülllagers, die sich im Moment auf das grenznahe Benken konzentriere. Ingold gab sich pessimistisch: «Die Deutschen sind am längeren Hebel. Ich glaube, wir müssen zurückbuchstabieren. »

Hany verwies auf derzeit laufende Verhandlungen seiner Parteikollegin und Bundesrätin Doris Leuthard mit dem deutschen Verkehrsminister: «Es läuft punkto Fluglärm etwas auf Ministerebene. In absehbarer Zeit wird eine Lösung kommen.» Er sprach sich gegen eine «Paketlösung» durch Verknüpfung mit anderen Dossiers aus. Anders Blocher: «In internationalen Verhandlungen gibt es nur eines: Verknüpfen, verknüpfen, verknüpfen.» Sein Vorschlag an die Adresse der deutschen Regierung: «Es gibt nur eine Abgeltungssteuer, wenn wir das Fluglärmproblem lösen.»

Hardegger plädierte für einen ganz anderen Ansatz: «Zuerst müssen wir die Grösse des Flughafens bestimmen. Dann können wir über Lärmverteilung reden.» Deshalb sei bei der Kantonalzürcher Abstimmung im November ein Nein zu Pistenausbauten am Flughafen vonnöten. Glättli stimmte ihm zu.

Gutzwiller sah das Hauptproblem in Bern: «Wir müssen einen Zacken zulegen auf Bundesratsebene. Der Flughafen ist eine nationale Infrastruktur. Darum muss die Lösung des Fluglärm-Streits Top-Thema zwischen Bern und Berlin sein.»

Die unter dem Motto «Chance Gubrist » geforderte Autobahnüberdeckung beim Tunnelportal in Weiningen fand vor dem Limmattaler Publikum die Zustimmung aller Kandidaten – mit einer Ausnahme: Urs Hany. Es sei zuerst zu klären, wer die für den Autobahndeckel nötigen 100 Millionen Franken bezahle. Bauingenieur Hany fürchtet auch, dass der Deckel den geplanten Ausbau des Gubrist- Tunnels um vier bis fünf Jahre verzögern könnte. Gutzwiller bestritt dies: «Es ist heute klar, dass man das ohne Verzögerung machen kann. Wir werden uns dafür einsetzen.»